Lehren aus der Digitalisierungskrise – Zeit für eine Metamorphose

Smart, hoch gelobt, schnell, lukrativ, programmierbar, ein Stargast auf politischen Bühnen und in Deutschland doch völlig missverstanden - Digitalisierung. Zettelwirtschaft in der Verwaltung, Kreidezeit in der Schule, Versenkte Steuer-Millionen für eine fragwürdige App zur Kontaktnachverfolgung. Wo wir wirklich stehen ist dank der Corona-Krise an die Oberfläche gekommen. Auch wir als Digitalagentur durften unsere Erfahrungen sammeln. Jetzt sind wir bereit an Strukturen zu rütteln, um ein gesundes Fundament für eine digitale Gesellschaft zu bauen.
Schreibmaschine und Laptop auf einem Tisch

Wagt Deutschland endlich den Sprung ins Digitalzeitalter?

März 2020: Die Ohnmacht angesichts der Pandemie geht Hand in Hand mit der Entdeckung des Potenzials der Digitalisierung. Distanz, Sichtbarkeit und Flexibilität gefragt, und zwar ad hoc. eLearning, eGovernment, Tschüss Präsenzkultur, Hallo Homeoffice, Videocalls statt Geschäftsreisen, Online Shopping statt Einkaufsstraße. Auch der Staat muss umdenken: Wenn man etwas ändern muss, bewegt sich was, die bekannte Portion Geduld im bürokratischen Wirrwarr funktioniert nicht.

Wird die Corona-Krise das Tempo bei der digitalen Transformation endlich entfachen?

Bei uns als Digitalagentur weckte das Optimismus, denn auch wir tragen Verantwortung. Wir entwickeln seit 2007 digitale Lösungen, orientiert an den Bedürfnissen des Nutzers. Auch politische Entscheidungen müssen nah an den Bürger:innen sein.

Jetzt ist die richtige Zeit, um ohne Hürden digitalen Mehrwert für die Gemeinschaft zu schaffen. Oder?

Eine erste Möglichkeit ergab sich im Rahmen des von der Bundesregierung organisierten Hackathons “Wir vs. Virus”, mehr als 28.000 Teilnehmer:innen mit 1500 Lösungen. Ein facettenreiches Startup-Ökosystem: engagiert, innovativ und agil. Mit der Motivation gingen wir in die Entwicklung von recover, in Teamarbeit mit 9elements und Kulturschaffenden aus Köln ist an einem Wochenende ein Tool zur Kontaktnachverfolgung entstanden. 

Die Entlastung lag auf der Hand – keine Verwaltung von Zetteln, kein Desinfizieren von Stiften, mehr Zeit für die Gäste. Gleichzeitig wundern wir uns über das Zögern der Politik die digitale Alternative in die CoronaSchVo aufzunehmen, statt auf die digitale Alternative als Instrument zur Krisenbekämpfung zu setzen. Was muss getan werden, um mehr Vertrauen in technologische Lösungen zu schaffen? Und: warum hört uns niemand zu?

Die gewünschte Aufmerksamkeit kommt sechs Monate später, medienwirksam und rasant dank der Luca App. Im März 2021 geben 13 Bundesländer ohne Ausschreibungsverfahren ca. 20 Mio. Euro für die LucaApp aus, trotz schwere technischer Mängel und Intransparenz. Zu dieser Zeit gab es bereits über 50 Lösungen auf dem Markt, die sich für einen pluralistischen Ansatz ausgesprochen haben. Ein Fehler im System? Unfair aus Unternehmersicht, ganz abgesehen vom Steuerzahler. Diese Entscheidungen zu beurteilen obliegt jedoch anderen.

Mehr Digitalmut, Vertrauen in Startups, weniger Bremsklötze

Wie war unsere Reaktion auf die Ereignisse? Das Netzwerk kontaktieren, Durchhaltevermögen zeigen und weiterhin Digitalmut verbreiten. Und genau den wollen wir in der Politik sehen. Was setzt das voraus?

Mehr Wertschätzung für das deutsche Startup Ökosystem! Es braucht mehr Förderung für junge Startups, in Form von Inkubationsprogrammen, Mobilisierung von Kapital, den Ausbau von Unternehmensnetzwerken und Raum für die Überzeugung dass ein gutes Produkt eins ist, das soziale und ökologische Anliegen in den Fokus stellt. Die hausgemachten Stolpersteine, die wir in der Bildung, im Gesundheitswesen und in der Arbeitswelt sichtbar geworden sind, sind die Symptome eines digitalen Nachzüglers. Als Gesellschaft und Unternehmer:innen mit dem nötigen Knowhow brauchen wir Gespräche auf Augenhöhe. 

Raus aus der Komfortzone, rein in die krisenfeste Digitalgesellschaft – Erste Denkanstöße

Wir programmieren nicht für das Glück von Politikern und profitorientierten Unternehmen. Nur den ökonomischen Nutzen zu suchen macht keinen Sinn, wenn wir zum aktiven Mitgestalter auf internationaler Bühne werden wollen. 

Wieso nicht alle abholen und Projekte für die Gemeinschaft, für bequemere Prozesse, die schlussendlich jedem mehr Zeit bringen? Wer auf digitale Hilfsmittel zugreifen kann, hat in der Regel kürzere Wege, weniger Aufwand und mehr Flexibilität. Die zahlreichen guten Entwickler und Designer in Deutschland können so viel bewirken, sie brauchen eine Chance (und ja: auch Kapital) und Vertrauen.

Der Vergleich mit anderen Ländern in Sachen Digitalkompetenz soll Politiker nicht erstarren lassen, sondern sie jetzt animieren das volle Potenzial in dringend benötigte Prozesse zu integrieren und helfen, analoge Altlasten in Code und Design zu bringen.

Auf dem Weg zu einer krisenfesten digitalen Gesellschaft!

Was ist die Basis? Vertrauen und Mut zur Veränderung an festgefahrenen Strukturen. Umdenken alleine reicht hier nicht, ebenso wenig Gesetze die keine Umsetzung erfahren. Es muss gehandelt, kooperiert, vertraut und riskiert werden, sonst laufen wir völlig planlos herum und verpassen diese wichtige zweite Halbzeit.  Wir brauchen Diskussionsräume zwischen Politik, Verwaltung und Digitalunternehmen. Wie kann es sein, dass wir uns so schlecht kennen? Zusammen in interdisziplinären Teams müssen wir besprechen, was wir wirklich brauchen, wie digitale Strukturen aufgebaut, für jeden zugänglich gemacht werden können und die Grundlage für eine krisenfeste Digitale Gesellschaft legen. 

Das heißt: lösungsorientiert in multiprofessionellen Teams denken – nicht in starren Verwaltungseinheiten.

  1. Digitale Arbeitswelt: Brauchen wir pro Arbeitnehmer einen Platz im Büro? Es sind Arbeitskulturen die komplett neu gestaltet und gelebt werden müssen. Mehr Dezentralisierung, Agilität, Raum für Eigeninitiative. 
  2. Digitale Bildung: Politische und administrative Abläufe müssen an die Erwartungen einer Generation angepasst werden, deren zweites Naturell die digitale Welt ist. Wie soll Nachwuchs in der IT gefördert werden wenn dies weder in einem zeitgemäßen Rahmen auf dem Unterrichtsplan noch in Form von gut ausgestatteten Schulen auftaucht? 
  3. Einheitliche Standards: Je besser ein Unternehmen vor Corona mit digitaler Technik vertraut und ausgestattet war, umso leichter fielen die Veränderungen, umso wichtiger ist die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes: Homeschooling und fehlende eLearning Kompetenzen haben neben Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern und fehlenden Standards auf EU Ebene viel Zeit in Anspruch genommen.
  4. Gesundheitswesen: Gesundheitsämter müssen dringend digitalisiert werden, medizinische Apps und andere innovative Lösungen müssen die Bedürfnisse der Nutzer:innen in den Mittelpunkt stellen.

Potenzial nutzen, vertrauen schenken, denn: Digitalisierung ist keine Option mehr.

Für uns ist klar: Die Corona-Krise gibt uns die Chance nachhaltig etwas zu verändern. Der erste Lockdown hat gezeigt wie wichtig es ist, sich aufeinander verlassen zu können, bedingungslos, als ein Akt für die Gemeinschaft und nicht für einen  selbst. 

Gemeinsam mit dem Potenzial der Digitalisierung entsteht ein Zeitgeist der einen Wandel lostreten könnte. In der nächsten Legislaturperiode müssen hierfür Anreize geschafft werden, damit ein Wandel stattfinden kann und innovative Köpfe ihre Fähigkeiten effektiv bündeln können.

Wir als Startup sind bereit unser Knowhow sinnstiftend einzubringen, als Ansprechpartner für Politik und Verwaltung zu fungieren und wollen unsere Lösungen in Zukunft sektorenübergreifend definieren.

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Story Martha Biadun

Danke an Alessa Fetzer für den Digitalmut Begriff

Photo by Glenn Carstens-Peters on Unsplash

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